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Zur Biologie von Prostemma guttula F.
( Heteroptera: Nabidae )
Zusammenfassung: Ernährungsgewohnheiten, Beuteerwerb, Fortpflanzungsverhalten,
Larvenentwicklung und Fertilität werden anhand von Beobachtungen
unter Zuchtbedingungen beschrieben. Ein Apparat zur Verteilung
eines männlichen Pheromons wird detailliert erklärt.
Abstract: Feeding and mating habits, prey capturing, larval development
and fertility under rearing conditions are described. An apparatus
to distribute a male pheromone is explained in detail.
Systematik und Verbreitung
Prostemma guttula F. (Taf. I,1) gehört zu den Sichelwanzen
(Nabidae) und hier zur Unterfamilie der Prostemmatinae. Diese
Unterfamilie ist durch ihre verkürzten, sehr dicken und unterseits
gezähnten Vorderschenkel (Taf. III,6), durch den fehlenden
oder sehr schmalen Halsring am Pronotum und durch die schwarz-rote
oder schwarz-gelbe Färbung von der zweiten europäischen
Unterfamilie, den Nabinae, gut zu unterscheiden.
In Europa ist die Gattung Prostemma mit fünf Arten vertreten.
Prostemma guttula F. ist die einzige, die auch in Deutschland
weit verbreitet ist. Prostemma sanguineum ROSSI, die zweite für
Deutschland gemeldete Art (PERICART, 1987, WAGNER, 1967), wurde
bisher nur in Rheinhessen an wenigen Orten gefunden (Haarberg
b. Wollstein, Lorch, Mainz). Von der bis in den Süden Mitteleuropas
vordringenden Prostemma aeneicolle STEIN ist sie mit Sicherheit
anhand der beilförmigen Parameren der Männchen (s. Abb.
2) zu unterscheiden, denn das bei WAGNER für Prostemma aeneicolle
aufgeführte Unterscheidungsmerkmal "Spitzen der Mittel-
und Hinterschenkel schwarz" trifft nicht immer zu.
Nach PERICART (1987) ist Prostemma guttula an ihrer Nordgrenze
offensichtlich im Rückzug begriffen. In Großbritannien
ist sie wohl ausgestorben und in Belgien und im Pays-Bas Frankreichs
zieht sie sich zurück. Dazu paßt auch, daß in
Deutschland von Nordrhein-Westfalen Prostemma guttula vom Rodderberg
bei Bonn (REICHENSPERGER, 1920/22) nach 1920 nicht wieder gemeldet
wurde. Von REICHENSPERGER (1920/22) wurde sie als "südliche
und mediterrane Form" angesehen. PERICART (1987) bezeichnet
sie als "euro-mediterran" mit einer Verbreitung in Mittel-
und Südeuropa, Nordafrika, im Nahen und Mittleren Orient,
im Süden des europäischen Rußlands, in Transkaukasien
und mit einer Ausdehnung in den Osten Mittelasiens. JOSIFOV (1986)
bezeichnet sie als eine "holomediterrane Art, die nördlich
auch in Mitteleuropa vorkommt".
Biotop
Prostemma guttula F. bewohnt offene und trockene, steinige oder
vorzugsweise sandige Gebiete. Man findet sie tagsüber unter
Steinen und pflanzlichem Detritus oder in der Sonne umherlaufend
(PERICART, 1987). Der Fundort in Moureze stimmt mit dieser Beschreibung
sehr gut überein. Es handelt sich um ein sandig-steiniges
Gebiet ohne geschlossene Pflanzendecke im Cirque de Moureze. Auch
der Fundort im Vallat du Plan ist ein ausgesprochen steiniges
Gelände, das aber eine geschlossene Pflanzendecke im engeren
Fundbereich zeigte. Auch an anderen Stellen, wo ich Prostemma
gefunden habe, waren die Fundorte ähnlich strukturiert und
machten immer einen sehr trockenen Eindruck. Daß die Tiere
Trockenheit gut vertragen, zeigt auch die erfolgreiche Zucht des
Jahres 1992 unter den unten beschriebenen Bedingungen. PERICART
(1987) bezeichnet sie als "thermophil und xerophil".
Zucht
Ausgangspunkt meiner Züchtungsversuche war ein Pärchen,
das ich am 12.4.1992 in Frankreich (Moureze, Pays d'Oc) unter
einem Stein gefunden habe. Die beiden Tiere wurden in eine Petrischale
von 10 cm Durchmesser gesetzt, an deren Bodenteil innen mit Tapetenkleister
eine dünne Sandschicht angeklebt wurde und in die Sand und
Pflanzenteile vom Fundort gelegt wurden.
Die Larven wurden einzeln in Filmdöschen oder zu mehreren
in Petrischalen (10 cm Durchmesser) mit einer losen, dünnen
Sandschicht gehalten. Die L I wurden mit L II - V von Nysius senecionis
SCHILL. und die weiteren Stadien hauptsächlich mit Kleidocerys
resedae PANZ. gefüttert.
Im Jahre 1993 führte ich die Zucht weiter mit je einem nachgezogenen
Männchen und Weibchen und einem weiteren Pärchen, das
ich am 8.4.1993 in Frankreich (Vallat du Plan, Mt. Ventoux) unter
den Blattrosetten von Verbascum spec. fangen konnte. Die Pärchen
wurden in Petrischalen von 10 cm Durchmesser gehalten, in die
ein feuchtes Papierkügelchen aus einem Blatt Toilettenpapier
und ein Gemisch aus Pflanzenresten und Sand eingebracht wurden.
In der Larvenaufzucht führte ich eine Änderung ein:
Die Larven wurden fast alle einzeln in Filmdöschen gehalten,
deren Boden mit feuchtem Filterpapier ausgelegt war. Die Fütterung
erfolgte (bis auf eine Ausnahme) bis zur L IV ausschließlich
mit Kleidocerys resedae, die ich für die L I zerquetschte.
So konnte ich mit wenig Zeitaufwand genügend Futter zur Verfügung
haben, da Birken mit großen Mengen von Kleidocerys in meinem
Garten stehen.
Ernährung
Prostemma guttula F. ist eine ausschließlich räuberisch
lebende Wanze. Als Beutetiere kommen nur Wanzen in Frage. Die
Beutetiere, die im Labor angenommen wurden, gehören mehreren
Familien an (Tab. 1) und umfassen eine große Zahl von Gattungen.
In der freien Natur kommen allerdings viele der im Labor angenommenen
Beutetiere als Nahrung nicht in Betracht, da sie ganz andere Biotope
bewohnen. Insgesamt kann aber dennoch festgestellt werden, daß
Prostemma innerhalb der Einschränkung des Beutespektrums
auf Wanzen sehr variabel ist.
Das Verhalten gegenüber den verschiedenen Beutetieren ist
allerdings sehr unterschiedlich. So wird Pyrrhocoris apterus L.
meistens nicht angenommen. Bei einem Versuch verblieb Pyrrhocoris
apterus für eine Woche in den Petrischalen von zwei Prostemma
guttula. Obwohl es zwischen den Tieren immer wieder Begegnungen
gab, blieben die potentiellen Beutetiere unbehelligt. Andererseits
habe ich eine Prostemma vom Ei bis zur Imago ausschließlich
mit Pyrrhocoris apterus aufgezogen. Bei drei anderen mißlang
der gleiche Versuch, und die Tiere starben im ersten oder zweiten
Larvenstadium. Weitere Beobachtungen verdeutlichen dieses ambivalente
Verhalten. Am 29.6.93 bot ich einer L V von Prostemma guttula
eine Pyrrhocoris-Larve und eine Imago von Kleidocerys resedae
an. Die Pyrrhocoris-Larve wurde bevorzugt. Derselbe Versuch bei
einer zweiten L V zeigte das gegenteilige Ergebnis. In drei weiteren
Versuchen wurden die Pyrrhocoris-Larven ebenfalls nicht angenommen,
dafür aber Aelia acuminata L. und Tritomegas bicolor L. (larval).
- Ein ähnlich ambivalentes Verhalten war auch gegenüber
den L V von Pentatoma rufipes L. zu beobachten.
Mit Stictopleurus punctatonervosus GZ. hatte Prostemma guttula
große Schwierigkeiten. Da die Gegenwehr sehr heftig war,
gelang der Stich in den Kopf nicht. Andere Stiche zeigten kaum
Wirkung. Erst als nach acht Minuten der Stich in den Kopf gelang,
war der Kampf schnell zu Ende. Da Stictopleurus zwischendurch
immer wieder flüchten konnte, war der Kampfablauf in dieser
Form nur in der Enge der Petrischale möglich. Ob aber ein
Überleben nach dem ersten Stich, der nicht den Kopf, sondern
ein Bein traf, möglich gewesen wäre, bleibt offen.
Fütterungsversuche mit verschiedenen Fliegen, Käfern,
Ameisen und auch kleinen Raupen schlugen alle fehl. Bei Fliegen
habe ich aber durch einen Trick die Annahme erreicht: Indem ich
zwei Stubenfliegen in einem Filmdöschen zusammen mit 30 Kleidocerys
resedae kurze Zeit geschüttelt habe, erzeugte ich "Wanzenfliegen"
- Fliegen also, die nach Wanzen rochen - und die wurden von Prostemma
guttula ausgesaugt. Die Orientierung darüber, ob eine Beute
freßbar ist oder nicht, erfolgt also auf chemischem Wege.
(Z. Zt. erfolgen noch Untersuchungen darüber, welche Substanz
des Wanzensekretes der Informationsträger für "Beute"
ist.)
Zum Schluß noch ein Hinweis auf Kannibalismus: Für
erwachsene Prostemma guttula habe ich keine Beobachtungen dahingehend
machen können, daß sich die Tiere gegenseitig umbringen
und fressen. Aber an toten Artgenossen habe ich sie öfter
saugen sehen. Ganz andere Beobachtungen waren mir bei den Larven
möglich. Hier wurden Geschwisterlarven getötet und ausgesaugt.
Besonders gefährdet sind frisch gehäutete Tiere. Auch
gute Fütterung verhindert den Kannibalismus unter den Larven
nicht.
Beutefang
Prostemma guttula zeigt beim Beutefang fast immer das gleiche
Verhalten. Sobald ein Beutetier sich nähert, werden die Antennen
vorgestreckt und fangen an zu zittern. Die Beute wird sogar richtig
verfolgt. Der Angriff erfolgt blitzartig. Prostemma umklammert
die Beute, und es kommt bei größeren Tieren zu einer
kurzen ringkampfartigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Prostemma
mit ihrem gebogenen Rüssel von oben um den Kopf herum in
die Rüsselbasis oder zwischen das erste und zweite Rüsselglied
des Beutetieres sticht. Schon nach wenigen Sekunden ist die Beute
in den meisten Fällen tot. Kleine Wanzen hält Prostemma
bis zum Tod fest, bei größeren läßt sie
nach dem Stich los und verfolgt die flüchtende Beute mit
ausgestreckten Fühlern. Große Beutetiere sind etwa
nach 10 bis 15 Sekunden tot. Sobald die Beute tot ist, beginnt
Prostemma mit dem Aussaugen. In den meisten Fällen beginnt
sie damit an der Rüsselbasis, manchmal aber auch an einem
Fühler, einem Bein oder irgendwo am Körper. Immer aber
wird sorgfältig eine Stelle im Intersegmentalbereich ausgewählt,
so daß nur eine dünne Haut durchstochen werden muß.
Unter dem Mikroskop sieht man, daß nur die Stechborsten
in das Beutetier eindringen und der Rest des Rüssels draußen
bleibt. Das gilt auch, wenn Prostemma die Beute nur mit dem Rüssel
festhält und in ein Versteck schleppt (Taf. I,2).
Wenn der Chitinpanzer etwas durchsichtig ist, wie ich es oft bei
Piezodorus lituratus F. beobachten konnte, kann man im Beutetier
sehen, wie sich die Weichteile auflösen und ein beständiger
Strom in Richtung Einstichstelle fließt. Zunehmend sieht
man Luftblasen, bis in dem besaugten Teil (z. B. ein Beinglied
oder der Kopf) nur noch eine große Luftblase enthalten ist.
Dann füllt Prostemma guttula das ganze Teil voll Flüssigkeit
und saugt diese wieder auf. Danach wird eine neue Anstichstelle
ausgesucht oder aber die Nahrungsaufnahme beendet.
Die Larven von Prostemma verfahren beim Beutefang ähnlich
wie die Erwachsenen. Angesichts der geringeren Größe
aber müssen sie den Beutetieren auf den Rücken klettern
und nach vorne laufen, um von oben um den Kopf herum an die Rüsselbasis
zu kommen. Oft kann man eine Larve auf der Beute sitzend an allen
möglichen Stellen suchen sehen, bevor sie die richtige Stelle
gefunden hat. Dabei halten sie sich so gut fest, daß auch
intensives Schütteln sie nicht abwirft. In diesem Zusammenhang
wird immer wieder auf die fossula spongiosa (Taf. III,6) an den
Vorder- und Mitteltibien verwiesen, die dem Festhalten sowohl
der Beute als auch des Sexualpartners dienen soll (JORDAN, 1972:
64; PERICART, 1987: 9). Wer aber die leichtfüßige,
elegante Art, in der viele andere Wanzen an Glaswänden und
~decken herumlaufen, gesehen hat im Vergleich zur plumpen, wenig
erfolgreichen Art und Weise von Prostemma, der wird sich fragen,
welche haftende Wirkung die fossula spongiosa überhaupt zu
erzeugen vermag.
Das beim Abwehren des Überfalls von den Beutetieren abgegebene
Wehrsekret scheint Prostemma unangenehm zu sein. Wenn sie zuviel
davon abbekommen hat, läßt sie kurzfristig vom Opfer
ab und putzt sich intensiv - besonders die Fühler - , um
bald darauf nach der entlaufenen, nun aber toten Beute zu suchen.
Bei Larven habe ich auch öfter Abstreifbewegungen am Untergrund
sehen können.
Nicht alles, was Prostemma guttula frißt, muß lebendig
sein. Auch frisch tote Tiere werden genommen. Hält man mehrere
Tiere in einer Petrischale, kann man die Übernahme einer
Beute einer Prostemma durch eine andere beobachten. In diesem
Zusammenhang konnte ich am 28.4.93 sogar eine Auseinandersetzung
zwischen einem Weibchen und einem Männchen beobachten. Das
Weibchen hatte eine Piezodorus lituratus gefangen und saugte an
ihr. Als sich nun das Männchen näherte, wurde es vom
Weibchen ausgiebig durch die Petrischale gejagt. Am Ende saßen
sie an verschiedenen Stellen. Das Männchen fand von seiner
Stelle aus schneller die Beute und versuchte sie wegzuschleppen,
was ihm aber vor dem Erscheinen des Weibchens nicht gelang. Nun
gab es eine aggressive Auseinandersetzung auf der Beute, in deren
Verlauf das Weibchen das Männchen durch Schlagen und Drücken
mit dem Hinterleib vertrieb. Als das Männchen sich nach einiger
Zeit wieder heranschlich, erfolgte wieder Schlagen und Drücken
mit dem Hinterleib. Schließlich wurde auch der Rüssel
eingesetzt, wobei die beiden Vorderbeine angehoben und einzeln
oder zusammen wie Katzenpfoten benutzt wurden. Eine Viertelstunde
später versuchte es das Männchen erneut. Diesmal wurde
es durch Treten mit den Hinterbeinen vertrieben. Das Männchen
belauerte das Weibchen richtig. Nach einer halben Stunde und weiteren
Versuchen des Männchens ließ das Weibchen von seiner
Beute ab. Nun endlich kam das Männchen zum Zuge.
Am 4.5.93 konnte ich eine zweite solche Auseinanderstzung beobachten.
Auch diesmal verteidigte das Weibchen eine von ihm erlegte Beute,
die für das Männchen offensichtlich so attraktiv war,
daß sogar lebende Beutetiere, auf die es immer wieder stieß,
unbehelligt blieben. Auch diesmal waren die gleichen Abwehrbewegungen
zu beobachten. Zusätzlich aber sah ich auch noch ein Schrägstellen
des Körpers, um die Beute zu schützen, wie man es von
Elasmucha grisea L. beim Beschützen der Eier und Larven (MELBER
& SCHMIDT, 1984) kennt. Das Männchen löste beim
Weibchen das Abwehrverhalten schon bei einer Annäherung auf
ca. 1,5 cm aus. Hauptsächlich aber versuchte das Weibchen
mit der Beute zu flüchten.
Paarungsverhalten
Die Paarungszeit von Prostemma guttula liegt im Frühjahr.
In der Zucht waren Kopulationen von Anfang April bis Ende Juni
zu beobachten. Kopulationen erfolgten in einem Fall bis einen
Tag vor dem Tod des Weibchens. Da die Überwinterung der Tiere
getrennt erfolgte und sie erst Anfang April zusammengesetzt wurden,
ist ein früherer Beginn der Paarungszeit durchaus möglich.
Dafür spricht auch, daß die beiden Pärchen, die
ich zur Zucht der Natur entnommenen habe, viel weniger Eier hervorbrachten
als das gezüchtete Pärchen. Vielleicht hatten sie in
der Natur schon mit der Eiablage begonnen.
Die Kopulation findet Bauchseite an Bauchseite statt (Taf. III,3).
Bevor es aber dazu kommt, sieht man ein ziemlich gewalttätiges
Verhalten. Anders als bei vielen anderen Wanzen gibt es kein vorsichtiges
Annähern und Werben durch das Männchen. Bei Prostemma
wird das Weibchen regelrecht überfallen und in einer Art
Ringkampf so gedreht, daß die Bauchseite zur Bauchseite
des Männchens zeigt und das Einführen des Penis möglich
ist. Zwischen den beiden ist ein Klammern und Strampeln mit den
Beinen und meist auch ein ständiges Herumtasten mit den Rüsseln
zu sehen. Dabei scheint das Rüsseltasten des Männchens,
das vor allem um die Rüsselwurzel des Weibchens stattfindet,
einen anderen Zweck zu verfolgen als das des Weibchens, das überall
an der vorderen Körperpartie des Männchens stattfindet
und so aussieht, als suchte das Weibchen die weiche Stelle zum
Zustechen. Diese erste Phase der Paarung dauert nach meinen Beobachtungen
zwischen 45 Sekunden und vier Minuten.
Die Phase der Kopulation dauert nicht lange, nach meinen Beobachtungen
zwischen zwei und vier Minuten. Während der Kopulation hört
das Strampeln, Klammern und Rüsseltasten nicht auf. Das Strampeln
mit den Hinterbeinen sieht beim Männchen wie ein Streicheln
der Flanken des Hinterleibes des Weibchens aus, das des Weibchens
wie ein Wegstoßen des Männchens.
Nachdem sich der Penis gelöst hat, beginnt die dritte Phase:
die Trennung. Nur selten ist das ein kurzer Vorgang von wenigen
Sekunden. Meist ist es ein kampfartiges Losreißen aus den
Umklammerungen des anderen, das nach meinen Beobachtungen bis
zu eineinhalb Minuten dauern kann. Beendet wird diese Phase durch
ein fluchtartiges Auseinanderlaufen. Manchmal beginnt die Phase
der Trennung schon, obwohl der Penis noch fest verankert ist.
So konnte ich zweimal ein regelrechtes Tauziehen beobachten, das
in einem Fall ganze drei Minuten dauerte.
Die drei Phasen der Paarung dauern zusammen nur fünf bis
acht Minuten (Tab. 2). Im Verlauf der Paarungszeit erfolgen viele
Kopulationen. Nicht immer ist das Männchen bei einem Paarungsversuch
erfolgreich. Oft endet der Versuch ohne Kopulation schon nach
wenigen Sekunden.
Ein interessantes Phänomen ist beim Männchen in der
Paarungszeit zu beobachten. Bei zwei von mir gehaltenen Männchen
stieg an einigen Tagen von der Hinterleibsspitze eine Art Rauchsäule
auf (s. Abb.5). In beiden Fällen wurde sie durch Reiben des
rechten Hinterbeines an der Genitalkapsel erzeugt. Dabei entstand
neben der gut sichtbaren "Rauchsäule" ein intensiver
Geruch. Dieses Verhalten konnte ich bei einem gezüchteten
Männchen innerhalb von 20 Tagen an sechs Tagen (8.4. - 28.4.93)
und bei einem gefangenen Männchen an zwei Tagen (16. + 18.4.93)
beobachten. Bei genauerer Untersuchung der an der Entstehung dieser
"Rauchsäule" beteiligten Körperregionen zeigt
sich, daß an der Innenseite der Hintertibien sich eine Reihe
von 12 bis 14 steifer Borsten befindet, und die Genitalkapsel
endet unterhalb der Geschlechtsöffnung mit einer glatten
Kante, von der zu den Seiten und zu den Parameren hin sich ein
breiter werdendes glattes Feld anschließt. Auf der Seite
der Parameren ist dieses Feld von ca. fünf Reihen steifer,
an der Spitze hakenförmig gebogener Borsten begrenzt. Diese
Reihen von Hakenborsten sind als Ekblom' sche Kämme bekannt.
Das Aussehen dieses Teiles der Genitalkapsel weicht bei Prostemma
guttula von der allgemeinen Beschreibung bei PERICART (1987: 12)
ab.
Wenn die Borstenreihe der Hintertibia über die Kante, das
glatte Feld und die Hakenborsten der Genitalkapsel gestreift wird,
sieht man mit dem Mikroskop, wie winzig kleine, staubfeine Partikelchen
aufgeschleudert werden, die als grau-blaue Wolke bei ruhiger Luft
nach oben steigen. Die Bedeutung dieser Absonderungen ist unklar.
CARAYON (zitiert nach PERICART, 1987: 12) vermutet eine aphrodisierende
Wirkung auf die Weibchen bei der Paarung. Wie die Paarung abläuft,
habe ich weiter oben beschrieben. Mir erscheint deshalb auch diese
Erklärung nicht sehr überzeugend. Andererseits ist ungeklärt,
wie sich Männchen und Weibchen finden im unübersichtlichen
Gewirr von totem und lebendem Pflanzenmaterial in ihrem Lebensraum.
Daß die "Rauchzeichen" diesem Zwecke eher dienen
könnten, darauf weist das Verhalten des der Natur entnommenen
Männchens hin, bei dem am 16. und 18.4.93 das "Rauchzeichen"
zu sehen war. Es war alleine in seiner Petrischale und konnte
weder optisch, chemisch oder sonst irgendwie eine Information
haben, daß ein Weibchen in der Nähe sei.
( Um die Bedeutung des "Rauchzeichens" genauer klären
zu können, sollen demnächst Versuche durchgeführt
werden, und ich bemühe mich um eine chemische Analyse der
vom Männchen abgegebenen ätherischen Substanz. )
Ei und Larve
Die Eier von Prostemma guttula (Taf. II,4) sind länglich,
stark gebogen, weißlich-gelb gefärbt, und das obere
Ende ist kelchförmig. Der Kelch ist rein weiß. In diesem
Kelch steckt eine Art Korken mit einer halbkugeligen Erhebung
in der Mitte der Außenfläche. Die schlüpfende
Larve preßt den ganzen "Korken" nach außen,
so daß der Weg hinaus frei wird. Die Eier sind zwischen
1,7 und 1,9 mm lang und 0,4 bis 0,5 mm an ihrer dicksten Stelle.
Der Kelch hat einen Durchmesser von 0,3 bis 0,4 mm.
Anhand der Ergebnisse meiner Zuchtversuche zeigt sich, daß
Prostemma weit über 100 Eier legen kann. Die drei Weibchen
aus den Zuchten legten 79, 103 und 157 Eier. Als Ablagesubstrat
kommt in der Natur Pflanzenmaterial in Frage. In meiner ersten
Zucht (1992) wurden die Eier in trockene Pflanzenstengel, die
ich mit dem eingestreuten Bodenmaterial eingebracht hatte, profund-implantiert.
Dasselbe geschah bei trockenen Brennesselstengeln, die ich als
weitere Ablagemöglichkeiten anbot. 1993 ergaben sich einige
tradukte Eiablagen in einem Verbascumblatt, wohl aus Mangel an
einer geeigneteren Möglichkeit (Eiablagetypen nach MICHALK,
1935). Bei dieser zweiten Zucht habe ich wieder trockene Brennesselstengel
und auch mehr oder weniger trockene Sedumstengel als Substrat
angeboten. Die Sedumstengel haben sich nicht bewährt. Hier
kam es durch Schrumpfungsvorgänge zum Zerquetschen der Eier.
Ganz überraschend ergab sich aber, daß die feuchten
Toilettenpapierkügelchen zur Eiablage genutzt wurden, die
eigentlich nur zum Erhalt der Luftfeuchtigkeit gedacht waren.
Für eine Zucht scheint mir das sogar der beste Eiablageort
zu sein, da man bei Bedarf die Eier gut herauslösen kann
und die Eientwicklung fast ohne Ausfälle verlief.
Die Schlüpfrate lag zwischen 35,4% und 62,4%. Ursachen für
Ausfälle habe ich oben schon genannt. Weitere Ursachen sind
zu große Trockenheit, was bei den hohlen Brennesselstengeln
ein Problem ist, oder zu große Feuchtigkeit, wenn die Papierkügelchen
zu feucht in Filmdöschen gelegt werden und sich Schimmel
bildet. Schimmelbildung könnte auch ein Problem in der Natur
sein bei einem nassen oder gar feucht-warmen Frühjahr.
Von den geschlüpften 28 Larven wurden 1992 nur sechs einzeln
aufgezogen. Davon entwickelten sich drei zu erwachsenen Tieren,
eine Rate von 50%. 1993 zog ich von den 98 Larven des Weibchens
Nr. 12 einzeln 70 Larven auf, und bei Weibchen Nr. I waren es
19 von 54 Larven. Aus den 70 Larven der Nr. 12 erhielt ich nur
neun Imagines; und aus den 19 Larven von Nr. I ergaben sich sieben
Imagines, eine Rate von 12,9% bzw. 36,8%. Das Ergebnis von 1992
ist wegen der geringen Ausgangszahl nicht gut geeignet, um Schlüsse
zu ziehen. Die Ergebnisse von 1993 lassen aber Vermutungen zu:
1. Die Zucht in der zweiten Generation verlor an Überlebenskraft,
denn nur 12,9% der einzeln aufgezogenen Larven wurden adult.
2. Die Ausfallrate könnte durch einseitige Ernährung
in den ersten vier Larvenstadien (mit Kleidocerys resedae PANZ.)
überhöht sein.
Rückschlüsse auf die Erfolgsrate in freier Natur lassen
sich aus diesen Zuchtergebnissen nicht ziehen!
Für die Entwicklung der Eier wurden zwischen 10 und 21 Tagen
benötigt, für die anschließende Larvenzeit waren
es 52 bis 77 Tage. Die Ursachen für zeitliche Verschiebungen
könnten in den Tieren angelegt sein, da Larven, die gleichzeitig
schlüpften, sich trotz gleicher Bedingungen sehr unterschiedlich
entwickelten. Am Beispiel der Larven Nr. 12.35 und 12.37 wird
das deutlich:
Entwicklung zur |
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Bilder zu dieser Veröffentlichung:
Erster Teil
Zweiter Teil (Tafeln I-III) |
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Weitere Veröffentlichungen zu Prostemma:
Zur Biologie von Prostemma guttula F.
(II) |
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L I |
L II |
L III |
L IV |
L V |
Imago |
12.35 |
19.5. |
27.5. |
6.6. |
15.6. |
29.6. |
19.7. |
12.37 |
19.5. |
26.5. |
12.6. |
5.7. |
17.7 |
29.7. |
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Die Zunahme der Körperlänge der Larven bei Prostemma
geht aus den Tabellen Nr. 3 und Nr. 4 und den Abbildungen
Nr. 1 bis Nr. 4 hervor. Die Abbildungen Nr. 7 bis 12 geben
das Aussehen der Larvenstadien I bis III wieder. Für
die beiden Larvenstadien IV und V gibt es entsprechende
Darstellungen bei PERICART, so daß ich hier darauf
verzichten kann. Die einzelnen Larvenstadien sind durch
ihre Körpergröße gut voneinander zu trennen,
wenn man die unterschiedliche Färbung zu Beginn und
am Ende eines jeden Stadiums hinzunimmt: dann liegen die
verschiedenen Larvenstadien um mindestens 0,6 mm auseinander.
Zu Beginn sind die Larvenkörper schwarz, bis auf zwei
rote Flecken links und rechts des ersten Tergits. Am Ende
sind der ganze Bauch und breite Bereiche an Metanotum und
Dorsum rot gefärbt, und der ganze Körper wirkt
wie ein praller Luftballon, der langsam zusammensinkt.
Entsprechend der Zunahme der Körperlänge verhalten
sich auch verschiedene Körperabschnitte (Tab.: 5),
deren Maße ebenfalls zur Begutachtung eines Larvenstadiums
beitragen können.
Die Längenzunahme durch Nahrungsaufnahme ist in Tabelle
Nr. 4 für das Larvenstadium II an 10 Beispielen aufgezeigt.
Sie beträgt im Mittel 0,5 mm, bei einer Ausgangslänge
von 3,2 - 3,3 mm also ca. 15 %. Bei den anderen Larvenstadien
ist die Situation ähnlich.
Schriften |
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JORDAN,
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Ver. Preuß. Rheinl.
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- In FR. DAHL: Die |
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Teil. 179 Seiten. Jena. |
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Tab. 1
Im Labor angenommene Beutetiere
Lygaeidae
Beosus maritimus SCOP.
Beosus quadripunctatus MÜLLER
Heterogaster urticae F.
Kleidocerys resedae PANZ.
Nysius senecionis SCHILL.
Pyrrhocoridae
Pyrrhocoris apterus L. (nicht von allen !)
Coreidae
Coreus marginatus L.
Rhopalidae
Stictopleurus punctatonervosus GZ. (Probleme !)
Cydnidae
Tritomegas bicolor L.
Scutelleridae
Eurygaster maura L.
Odontostarsus purpureolineatus ROSSI
Pentatomidae
Acrosternum heegeri FIEB.
Aelia acuminata L.
Aelia rostrata BOH.
Codophila varia F.
Dolycoris baccarum L.
Eurydema oleraceum L.
Eurydema spectabile HORV.
Eurydema ornatum L.
Graphosoma lineatum L.
Graphosoma semipunctatum F.
Piezodorus lituratus F.
Pentatoma rufipes L. (L V)
Rhaphigaster nebulosa PODA
Acanthosomatidae
Elasmucha grisea L.
Elasmostethus interstinctus L.
Andere
Stubenfliegen mit Wanzengeruch
Tab.: 2
Phasen der Paarung |
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Phasenbezeichnung |
Phasendauer |
Kampfphase |
45 Sek. - 4 Min. |
Kopulationsphase |
2 - 4 Min. |
Trennungsphase wenige |
Sek. - 1,5 Min. |
Paarungsdauer insgesamt: |
5 - 8 Minuten |
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Tab.: 3
Körperlänge der Larvenstadien
(gemessen an lebenden Larven in mm) |
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Stadium |
Variationsbreite |
ohne Nahrungsaufnahme |
vollgesaugt |
I |
2,2 - 2,9 |
2,2 - 2,3 |
2,3 - 2,9 |
II |
3,2 - 3,8 |
3,2 - 3,4 |
3,5 - 3,8 |
III |
4,0 - 5,0 |
4,0 - 4,5 |
4,8 - 5,0 |
IV |
5,2 - 6,7 |
5,2 - 5,9 |
6,0 - 6,7 |
V |
7,0 - 8,8 |
7,0 - 7,7 |
7,8 - 8,8 |
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Tab.: 4
Zunahme der Körperlänge durch Nahrungsaufnahme
im Stadium L II
(in mm) |
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Larven-Nr. |
ohne Nahrungsaufnahme |
vollgesaugt |
Differenz |
12.30 |
3,2 |
3,75 |
0,55 |
12.36 |
3,2 |
3,7 |
0,5 |
12.40 |
3,2 |
3,5 |
0,3 |
12.132 |
3,3 |
3,7 |
0,4 |
12.152 |
3,2 |
3,85 |
0,65 |
I.16 |
3,3 |
3,8 |
0,5 |
I.95 |
3,2 |
3,75 |
0,55 |
I.98 |
3,3 |
3,7 |
0,4 |
I.99 |
3,2 |
3,7 |
0,5 |
I.100 |
3,2 |
3,8 |
0,6 |
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Tab.: 5
Maße verschiedener Körperabschnitte der Larven
von Prostemma guttula F.
(gemessen an toten Larven in mm) |
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Larvenstadium
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Anzahl der Individuen |
Körperlänge |
Hinterleibslänge |
Brustlänge |
Kopflänge |
Kopfbreite |
Fühlerlänge |
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VB
min. - max. |
MW |
VB
min. - max. |
MW |
VB
min. - max. |
MW |
VB
min. - max. |
MW |
VB
min. - max. |
MW |
VB
min. - max. |
MW |
I |
7 |
2,3 - 2,8 |
2,50 |
1,2 - 1,5 |
1,30 |
0,7 - 0,8 |
0,78 |
0,3 - 0,6 |
0,44 |
0,4 - 0,5 |
0,46 |
1,3 - 1,5 |
1,40 |
II |
11 |
2,9 - 3,85 |
3,29 |
1,4 - 2,0 |
1,65 |
0,9 - 1,25 |
1,09 |
0,4 - 0,6 |
0,52 |
0,5 - 0,6 |
0,59 |
1,6 - 1,8 |
1,73 |
III |
14 |
4,2 - 4,9 |
4,48 |
1,9 - 2,5 |
2,28 |
1,4 - 2,0 |
1,58 |
0,6 - 0,8 |
0,66 |
0,7 - 0,8 |
0,73 |
2,0 - 2,3 |
2,15 |
IV |
13 |
5,4 - 6,7 |
6,07 |
2,8 - 3,5 |
3,14 |
1,8 - 2,2 |
2,12 |
0,7 - 1,0 |
0,81 |
0,9 - 1,0 |
0,93 |
2,5 - 2,8 |
2,65 |
V |
13 |
6,95 - 8,35 |
7,64 |
3,4 - 4,4 |
3,81 |
2,6 - 3,0 |
2,73 |
0,9 - 1,25 |
1,08 |
1,1 - 1,2 |
1,13 |
2,8 - 3,5 |
3,16 |
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MW=Mittelwert |
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VB=Variationsbreite |
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Mitteilungen des
Internationalen Entomologischen Vereins, Fankfurt a. Main,
Band 20 1/2, Seite 31 - 49
ISSN 1019-2808, 1.Juli 1995
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